Die Zeit des Advent

17.-23.12. O-Antiphonen

O-Antiphonen

Mit dem 17. Dezember beginnt die Zielgerade auf Weihnachten zu, der sogenannte Hohe Advent. Schon seit dem 8. Jahrhundert werden an den letzten sieben Tagen vor Weihnachten in der Vesper, dem Abendgebet der Kirche, die O-Antiphonen gesungen. Sie drücken die Sehnsucht nach dem Kommen des Herrn aus. In einer gewissen Steigerung weisen sie darauf hin, dass der Gott, der von Anfang an der Herr der ganzen Welt ist, der sich in der Geschichte dem Volk Israel in besonderer Weise offenbart hat, nun kommen wird, um alle Menschen aus der Finsternis zum Licht des Lebens zu führen.
Die Antiphonen beginnen jeweils mit einer Anrufung Christi mit einem Titel, der aus dem Alten Testament stammt. Es sind die folgenden: Sapientia - Weisheit, Adonai - Herr, Radix Iesse - Wurzel Isais, Clavis David - Schlüssel Davids, Oriens - Morgenstern, Rex - König, Emmanuel - Immanuel. Liest man die Anfangsbuchstaben der lateinischen Worte rückwärts, so erhält man den Ausdruck ERO CRAS - morgen werde ich sein. Die letzte O-Antiphon erklingt am 23.12. und am Abend des 24.12. feiern wir dann die Geburt Jesu Christi.
Die O-Antiphonen werden jeweils mit derselben Melodie gesungen und haben eine feste Struktur. Nach der oben genannten Anrufung werden die einzelnen Themen näher ausgeführt und jede Antiphon endet mit dem flehentlichen Ruf veni - komm und einer Bitte.
Der Titel eines jeden Tages soll uns anleiten, darüber nachzudenken, wer dieser Jesus für mich ist. Wir wollen unser Herz weit machen, dass wir das Fest seiner Geburt freudig feiern können. Dazu möchten die folgenden Texte einstimmen.

O-Antiphonen

17.12. - Weisheit / Sapientia

O Weisheit, hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten - die Welt umspannst du von einem Ende bis zum anderen, in Kraft und Milde ordnest du alles: o komm und offenbare uns den Weg der Weisheit und der Einsicht.
O Sapientia, quae ex ore Altissimi prodiisti, attingens a fine usque ad finem, fortiter suaviterque disponens omnia: veni ad docendum nos viam prudentiae.

Christus ist die Weisheit, das dem Vater wesensgleiche Wort. In diesem Wort der Weisheit hat Gott die Welt erschaffen und in ihm erhält er die Welt am Leben. Weil durch Jesus Christus alles entstanden ist, ist die Welt schon seit ihrem Anbeginn ganz von ihm erfüllt und wird von seiner Kraft und Milde geordnet.
Johannes wird im Prolog zu seinem Evangelium schreiben: Das Wort ist Fleisch geworden. Gott hat seine Weisheit schon dem Volk Israel kundgetan, doch in Jesus Christus kommt das Wort, durch das Gott die Welt erschaffen hat, selbst in diese Welt. Die Weisheit Gottes spricht selbst zu uns und offenbart uns den Weg der Weisheit und der Einsicht.
Der Mensch hat die Wahl, sich für die Weisheit Gottes oder seine eigene Weisheit zu entscheiden. Wir bitten darum, dass Christus auch in unserem Herzen geboren werde und uns den Weg der Weisheit lehre, damit wir leben, wie es recht ist vor Gott.

Sie, die umherirrten und den Weg zur wohnlichen Stadt nicht fanden, denen das Leben dahinschwand, sie schrien in ihrer Bedrängnis zum Herrn und er führte sie auf geraden Wegen, so dass sie zur wohnlichen Stadt gelangten. (Ps 107,4-7)

Jesus, Weg, Wahrheit und Leben (Joh 14,6), zeige uns den Weg zum Leben!

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18.12. Herr / Adonai

O Adonai, Herr und Führer des Hauses Israel, im flammenden Dornbusch bist du dem Mose erschienen und hast ihm auf dem Berg das Gesetz gegeben: o komm und befreie uns mit deinem starken Arm!
O Adonai, et dux domus Israël, qui Moyse in igne flammae rubi apparuisti, et ei in Sina legem dedisti: veni ad redimendum nos in brachio extento.
SEIN Bote ließ sich von ihm sehen in der Lohe eines Feuers mitten aus dem Dornbusch.

So übersetzt Martin Buber Exodus 3,2. Gottes Bote lässt sich sehen - denn Gottes Angesicht selbst kann keiner schauen und am Leben bleiben (vgl. Ex 33,20).
Er erscheint im Feuer, das im Dornbusch brennt, aber nicht verbrennt. Lebendiges Feuer, das sich nie verzehrt. Normalerweise brennt das Feuer nur solange, wie etwas zum Verbrennen da ist, dann erlischt es und es bleibt Asche zurück. Gottes Feuer brennt, ohne den Brennstoff zu verbrauchen, es speist sich aus sich selbst, es hinterlässt keine Asche.
Unversiegbare Energie, wie sehr würden wir Menschen uns so einen Energielieferanten wünschen. Doch Gott ist mehr als Energie, mehr als eine kosmische Kraft, mit der manche Menschen durch bestimmte Meditationstechniken in Verbindung treten möchten.
Gott hat ein Antlitz, Gott ist Person. Gottes Antlitz, das Mose verborgen im Feuer des Dornbusches sah, ist uns in Jesus Christus auf menschliche Weise erschienen. Adonai, der Herr, wie ihn das Volk Israel nennt, weil es sich aus Ehrfurcht scheut, den Gottesnamen auszusprechen, der dem Mose aus dem Dornbusch offenbart wurde, ist uns Menschen als Mensch nahe gekommen und zeigt uns, was sein Name bedeutet - "ICH BIN DA".

Sie, die saßen in Dunkel und Finsternis, gefangen in Elend und Eisen, sie schrien in ihrer Bedrängnis zum Herrn und er entriss sie ihren Ängsten. (Ps 107,10.13)
O-Antiphonen

Wir sehnen uns nach der Wärme und dem Licht des Feuers, wir sehnen uns nach Nähe, nach einem Antlitz, das sich uns zuneigt. Wir sehnen uns nach Freiheit. Herr Jesus, wenn du uns befreist, sind wir wirklich frei (Joh 8,36). Komm Herr und mach uns frei!

Gott ist wie ein nie verlöschendes Feuer - und wir sollen uns von diesem Feuer entfachen lassen. Gottes Feuerflamme, sie zeigt sich uns im Heiligen Geist. Wir wissen, dass er am ersten Pfingstfest in Feuerzungen auf die Jünger herabkam und ihnen die Kraft gab, von Jesus Christus Zeugnis zu geben.
Das war kein einmaliges Ereignis. Pfingsten ereignet sich immer neu. In Taufe und Firmung wird jeder Mensch hinein genommen in die Gemeinschaft der Geisterfüllten. Doch leicht wird der Glaube zur Routine, der Funken springt nicht über.
Habe ich die Sehnsucht, dass Gottes Feuer in mir zu brennen beginnt? Wir müssen darum beten, wir können es nicht selbst machen, aber wenn wir bereit sind, zu empfangen, dann wird Gott sein Feuer auch in uns entzünden.
Momente göttlichen Feuers. Wir wissen vielleicht um solche Ereignisse in unserem Leben, wo wir Gottes Gegenwart auf besondere Weise gespürt haben. Halten wir stets die Erinnerung daran wach, lassen wir das Feuer in uns nicht ausgehen.
In einer Erzählung der Chassidim, die Martin Buber uns überliefert hat, heißt es:

Als Levi Jizchak von seiner ersten Fahrt zu Rabbi Schmelke von Nikolsburg, die er gegen den Willen seines Schwiegervaters unternommen hatte, zu diesem heimkehrte, herrschte er ihn an: Nun, was hast du schon bei ihm erlernt?! - Ich habe erlernt, antwortete Levi Jizchak, dass es einen Schöpfer der Welt gibt. - Der Alte rief einen Diener herbei und fragte den: Ist es dir bekannt, dass es einen Schöpfer der Welt gibt? - Ja, sagte der Diener. - Freilich, rief Levi Jizchak, alle sagen es, aber erlernen sie es auch?
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19.12. Wurzel Isais / Radix Jesse

O Spross aus Isais Wurzel, gesetzt zum Zeichen der Völker - vor dir verstummen die Herrscher der Erde, dich flehen an die Völker: o komm und errette uns, erhebe dich, säume nicht länger.
O Radix Jesse, qui stas in signum populorum, super quem continebunt reges os suum, quem gentes deprecabuntur: veni ad liberandum nos, jam noli tardare.

Viele Jahre nach dem Auszug aus Ägypten, als das Volk im Land Israel heimisch geworden war, verlangten sie nach einem König. Er sollte das Volk im Namen Gottes führen und leiten. Isai ist der Vater des Königs David, aus dessen Geschlecht die Könige Israels stammten. Nach dem Untergang dieser Dynastie haben die Propheten einen neuen König aus dem Haus und Geschlecht Davids, eben aus der Wurzel Isais, verheißen, der auf dem Thron Davids über alle Völker herrschen wird.
Christus ist dieser neue König. Ihn flehen die Völker an, dass er sie herausführt aus Dunkel und Finsternis in sein Licht. Das Königtum Christi ist anders als das der weltlichen Könige. Sein Reich, das Reich Gottes, ist nicht von dieser Welt. Hier in dieser Weltzeit umspannt es verborgen alle Völker der Erde und wird erst am Ende der Zeiten offenbar werden.

Aus der Wurzel Isais wächst ein Zweig empor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Der Geist des Herrn läßt sich nieder auf ihm, der Geist der Weisheit und der Erkenntnis, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist des Wissens und der Frömmigkeit und es erfüllt ihn der Geist der Gottesfurcht. (Jes 11,1-3)

Die Sterndeuter fragten nach dem neugeborenen König der Juden (Mt 2,2) und vor Pilatus sagt Jesus selbst: "Ja, ich bin ein König." (Joh 18,37) Beten wir mit dem Schächer am Kreuz: "Herr, denk an mich, wenn Du mit Deiner Königsmacht kommst!" (Lk 23,42)

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20.12. Schlüssel Davids / Clavis David

O Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel - du öffnest, und niemand kann schließen, du schließt, und keine Macht vermag zu öffnen: o komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fessel des Todes.
O Clavis David, et sceptrum domus Israel, qui aperis, et nemo claudit, claudis, et nemo aperuit: veni, et educ vinctum de domo carceris, sedentem in tenebris, et umbra mortis.

Das Bild vom Schlüssel stammt ursprünglich aus einer Prophezeiung Jesajas (Jes 22,22) und wird in der Offenbarung des Johannes auf Christus hin gedeutet (Offb 3,7). Christus selbst übergibt Petrus die Schlüssel des Himmelreiches (Mt 16,19).
Waren die zweite bis vierte Antiphon in ihren Bildern noch stark auf das Volk Israel bezogen, so öffnen die letzten drei Antiphonen den Blick für das, was der Messias allen Völkern bringen wird.
Der Zugang zum Heil Gottes, der bisher nur dem Volk Israel offen stand und den Heiden verschlossen war, wird durch den Messias allen Völkern eröffnet. So werden alle Menschen aus Finsternis und Tod befreiet und es erfüllt sich die Weissagung des Jesaja (9,1):

Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.

Aphrahat, der Persische Weise, beschreibt, wie Christus nach seinem Tod die Gefangenen aus der Unterwelt befreit: Er betrat die Scheol und führte die Gefesselten heraus. Mit dem Bösen kämpfte er, bezwang ihn und trat ihn nieder, durchbrach seine Bahnen und plünderte seinen Besitz; er zerbrach seine Pforten und riß seine Riegel ab. Er versiegelte unsere Seelen mit seinem eigenen Blut. Er ließ die Gefangenen frei aus der verschlossenen Grube.

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21.12. Morgenstern / Oriens

O Morgenstern, Glanz des unversehrten Lichtes, der Gerechtigkeit strahlende Sonne: o komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis und im Schatten des Todes.
O Oriens, splendor lucis aeternae, et sol justitiae, veni, et illumina sedentes in tenebris et umbra mortis.

Der Morgenstern ist die Venus, der Planet unseres Sonnensystems, der der Sonne am zweitnächsten ist. Sie kreist innerhalb der Erdbahn um die Sonne und "überholt" dabei etwa alle 19 Monate unseren Planeten. Bei ihrer Annäherung an die Erde steht sie östlich der Sonne und erscheint als "Abendstern" am Himmel, hat sie aber die Erde überholt und entfernt sich wieder von ihr, so steht sie westlich der Sonne und erscheint als "Morgenstern". Bei ihrer größten Annäherung rückt sie bis auf vierzig Millionen Kilometer an uns heran, näher kommt uns von den größeren Objekten nur der Mond. Zudem reflektiert sie 76 Prozent des auftreffenden Sonnenlichts und ist damit nach Sonne und Mond der dritthellste Himmelskörper.
Die Venus als Morgenstern ist eines der auffälligsten Lichter am Himmel, zumal sie auch noch nach Sonnenaufgang zu sehen ist, wenn das Licht der anderen Sterne schon längst durch das Sonnenlicht überdeckt wird. Da in der christlichen Symbolik und dabei vor allem auch in der Zeit des Advent das Licht eine große Rolle spielt, kommt hier auch der Morgenstern zu "göttlichen" Ehren. Er kündigt den Tag an und weckt Hoffnung auf das Ende der Nacht und bleibt zudem auch während der ersten Stunden des Tages ein zuverlässiger Orientierungspunkt.

Ich bin die Wurzel und der Stamm Davids, der strahlende Morgenstern. (Offb 22,16)

So sagt Jesus von sich in der Offenbarung des Johannes. Man muss wohl einmal das beeindruckende Leuchten des Morgensterns bewusst wahrgenommen haben, um dieses Bild in seiner ganzen Tiefe zu verstehen. In der Offenbarung des Johannes heißt es aber auch:

Wer siegt und bis zum Ende an den Werken festhält, die ich gebiete, dem werde ich Macht über die Völker geben, wie auch ich sie von meinem Vater empfangen habe, und ich werde ihm den Morgenstern geben. (Offb 2,26.28)

Was für eine Auszeichnung! Was könnte kostbarer sein als das helle Licht des Morgensterns? Und wenn man beide Stellen im Zusammenhang sieht, so erkennt man, dass die Auszeichnung der Standhaften letztlich darin besteht, Christus ähnlich sein zu dürfen.
Doch noch leben wir in der Zeit der Anfechtung und Erprobung. Wir haben ein Licht, das uns den Weg weist, die Schriften des Alten Bundes und die Offenbarung, die Gott uns in Jesus Christus gegeben hat. Wir wissen, was zu tun ist, wir haben eine klare Wegweisung für unser Leben und auch viele Vorbilder für diesen Weg. Aber doch erscheint uns der Weg oft unklar. Wir stehen vor Kreuzungen und überlegen, welche Richtung wir einschlagen sollen. Da ist es gut, einen Stern zu haben, der Orientierung gibt. Im zweiten Petrusbrief heißt es:

O-Antiphonen
Dadurch ist das Wort der Propheten für uns noch sicherer geworden und ihr tut gut daran, es zu beachten; denn es ist ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in eurem Herzen. (2Petr 1,19)

Wir leben in der Spannung zwischen dem "schon" und dem "noch nicht". Wir gehen dem Morgenstern entgegen, dem Aufgang der Sonne - Christus. Er ist schon gekommen als Licht der Welt, aber sein Glanz hat noch nicht alle Herzen erfasst und durchdrungen. Wir beten darum, dass in uns und allen Menschen das Licht Christi immer stärker leuchten möge. Schön kommt dieser Wunsch in einem bekannten Lied von Angelus Silesius zum Ausdruck:

Morgenstern der finstern Nacht, der die Welt voll Freude macht. Komm herein, Jesu mein, leucht in meines Herzens Schrein. - Voller Pracht wird die Nacht, weil dein Glanz sie angelacht.

Herr Jesus, strahlender Morgenstern, Licht der Welt, die Nächte sind oft lang und lasten schwer auf uns: die Dunkelheit des Geistes, die Nacht der Seele. Gib uns Hoffnung, bis der Morgenstern aufgeht in unseren Herzen. Komm und erleuchte uns mit dem Strahl deines Lichtes. Mach die Finsternis in unseren Herzen hell und lass uns dereinst in die neue Stadt Jerusalem gelangen, deren Leuchte du bist und in der es keine Nacht mehr geben wird.

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22.12. König der Völker / Rex Gentium

O König der Völker, ihre Erwartung und Sehnsucht; Schlussstein, der den Bau zusammenhält: o komm und errette den Menschen, den du aus Erde gebildet!
O Rex Gentium, et desideratus earum, lapisque angularis, qui facis utraque unum: veni, et salva hominem, quem de limo formasti.

Die O-Antiphon am 22. Dezember hebt an mit dem Ruf nach dem rettenden König, den schon die Propheten verheißen haben. Jesaja 7,14 und 11,1 und Micha 5,1 kündigen die Geburt eines Herrschers aus dem Spross Isais (Jes 11,1) an - Isai war der Vater des Königs David - der aus Betlehem (Mi 5,1) - der Geburtsstadt Davids - kommen wird. Diese Verheißungen greift der Evangelist Matthäus auf und sieht sie in Jesus Christus erfüllt. In seinem Stammbaum zeigt er, dass Jesus ein Nachkomme Isais und Davids ist, in Jesu Geburt erfüllt sich die Weissagung von der Jungfrauengeburt aus Jes 7,14 und als die Sterndeuter vor Herodes stehen, weisen die Schriftgelehrten ihnen anhand von Mi 5,1 den Weg nach Betlehem, wo sie dann tatsächlich den neugeborenen König der Juden finden.
Der Glaube sieht in Jesus Christus die sehnsüchtige Erwartung des Volkes Israel nach dem Messias erfüllt. Doch er ist nicht wie David allein der König von Israel. Seine Herrschaft reicht über die Grenzen des Volkes hinweg über die ganze Erde. Paulus greift im Epheserbrief diesen Gedanken auf, indem er zeigt, dass Jesus Juden und Heiden - also alle Menschen - in dem einen gemeinsamen Glauben vereint und somit auch die mit dem Messias verbundene Friedensverheißung der Propheten erfüllt.

Er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder. ... Er kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und uns, den Nahen. ... Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlussstein ist Christus Jesus selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. (Eph 2,14.17.19-21)
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In seiner Enzyklika "Quas primas" zur Einführung des Christkönigsfestes schreibt Papst Pius XI.: "Die Herrschaft unseres Erlösers umfasst alle Menschen" - also nicht nur Christen - "sondern sie umfasst auch alle, die man zu den außerhalb des christlichen Glaubens Stehenden rechnet, so dass ganz wahrhaftig das gesamte Menschengeschlecht unter der Vollmacht Jesu Christi steht."
Wir fragen uns, ob heute in Zeiten der Religionsfreiheit eine solche Aussage noch tragbar ist. Und doch kennt das Reich Gottes keine Grenzen. Es ist nicht wie mit irdischen Reichen, deren Macht und Einfluss begrenzt ist. Überall auf der Erde ist es möglich, Christ zu sein, und in diesem Sinn können wir sagen, dass sich kein Reich oder kein Ort auf der Erde dem Einfluss Jesu Christi entziehen können. Aber ob einer bereit ist, in das Reich Gottes einzutreten und sich unter Christi Vollmacht zu stellen, das bleibt die freie Entscheidung jedes Menschen.
Als sich das Christentum in den ersten Jahrhunderten ausbreitete, war es die Antwort auf eine Sehnsucht der Menschen, die in den alten Kulten keine Heimat mehr fanden. Das Evangelium traf in die Herzen der Menschen. Heute sehen viele in der Kirche eine erstarrte Institution, von der nichts zu erwarten ist, was die Sehnsucht der Menschen stillt. Viele suchen anderswo ihre Erfüllung.
Als Christen müssten wir Menschen sein, die mit ihrer Freude an Jesus Christus andere anstecken, die zeigen, was Jesus Christus für sie bedeutet, dass er wirklich der ist, der die Sehnsucht unseres Herzens erfüllen kann.

Komm, Herr, entzünde in unseren lauen Herzen das Feuer der Sehnsucht, das uns nach dir brennen lässt!
Du Heiland, den die Völker ersehnen, komm und rette unsere heillose Welt!

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23.12. Gott mit uns / Immanuel

O Immanuel, unser König und Lehrer, du Hoffnung und Heiland der Völker: o komm, eile und schaffe uns Hilfe, du unser Herr und unser Gott.
O Emmanuel, Rex et legifer noster, expectatio gentium, et salvator earum: veni ad salvandum nos, Domine, Deus noster.

Der Name Immanuel geht zurück auf eine Verheißung des Propheten Jesaja. Dort heißt es, dass Gott dem zweifelnden Volk folgendes Zeichen geben wird:

Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel geben. (Jes 7,14)

Der Evangelist Matthäus sieht diese Verheißung in der Geburt Jesu Christi erfüllt:

Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns. (Mt 1,22-23)

Aber, so wird immer wieder gefragt, warum heißt Gottes Sohn dann Jesus und nicht Immanuel? Weil der Name, den Jesaja verheißt, nicht als Eigenname zu verstehen ist, sondern vielmehr die tiefste Eigenschaft des Gottessohnes beschreibt. Gott wird durch dieses besondere Kind seine Gegenwart unter den Menschen auf unüberbietbare Weise offenbaren.
Matthäus und die anderen Evangelisten zeigen uns, wie Jesus sich als der Gott-mit-uns erweist. Jesus nimmt sich der Menschen an, er sieht ihre Nöte und schenkt Heil und Heilung, Vergebung der Sünden und Heilung der Krankheiten. Er lehrt den Weg zum Leben, nimmt die Sünden der Menschen auf sich und trägt sie an das Holz des Kreuzes. Seine Auferstehung schenkt den Vielen das Leben. Als der Auferstandene ist Jesus der wahre Immanuel, der nun durch alle Zeiten und an allen Orten bei den Menschen ist, wie Jesus selbst in den letzten Worten des Matthäusevangeliums sagt:

Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt. (Mt 28,20)
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Für uns mag die Geburt Jesu als Sohn Gottes eine Selbstverständlichkeit geworden sein, zu selbstverständlich. Die Konzentration auf das Wesentliche des Weihnachtsfestes geht unter im allgemeinen Geschenke-Kauf-Marathon und anderen Vorbereitungen für dieses Fest. Doch weil das Wesentliche verlorengeht, erzeugen wir mit all unserer Geschäftigkeit nichts als Leere und wir wundern uns, warum das Fest dann nicht so schön wird, wie es uns all die Werbespots und Reklamebilder versprochen haben.
Halten wir heute noch einmal kurz inne, lassen wir uns die Worte des Propheten zu Herzen gehen. Mit der letzten O-Antiphon sind wir einen Tag vor Heiligabend schon ganz nahe an das Weihnachtsgeschehen herangerückt. Wir stehen kurz davor, dass sich der Kreis zwischen der prophetischen Verheißung und ihrer Erfüllung schließt. Wir haben unseren Blick auf das Wesentliche des Weihnachtsfestes gerichtet: Gott will mitten unter uns gegenwärtig sein. Gott ist mit uns. Diese Verheißung kann im Leben jedes einzelnen Menschen ihre Erfüllung finden. Gott steht an der Tür und wartet darauf, dass auch du ihn in dein Leben lässt.

Mit dem sehnsuchtsvollen Ruf, der diese Antiphon abschließt, bitten wir eindringlich darum, dass die Gegenwart Gottes unter den Menschen auch heute erfahrbar werde, in einer Welt, die von so vielen Konflikten und Ungerechtigkeiten erschüttert wird, im Leben der Menschen, die entwurzelt sind und keine Heimat haben, aber auch im Leben derer, die sorglos in ihrer Wohlstandswelt dahinleben.
Komm Herr, zeige deine Gegenwart, rüttle uns wach, öffne unsere Augen, Geist und Sinn, dass wir erkennen, was um uns herum geschieht, dass wir aufstehen, und für Gerechtigkeit eintreten. Lass uns deine Gegenwart erfahren und mach uns zu Zeugen dafür, dass du der Immanuel bist, der Gott-mit-uns.