Jahreskreis C

30. Sonntag

Erste Lesung

Sir 35,15-22

Der Herr ist der Gott des Rechts, bei ihm gibt es keine Begünstigung. Er ist nicht parteiisch gegen den Armen, das Flehen des Bedrängten hört er. Er missachtet nicht das Schreien der Waise und der Witwe, die viel zu klagen hat. Rinnt nicht die Träne über die Wange und klagt nicht Seufzen gegen den, der sie verursacht? Denn von der Wange steigt sie zum Himmel empor, der Herr achtet darauf und es missfällt ihm. Die Nöte des Unterdrückten nehmen ein Ende, das Schreien des Elenden verstummt. Das Flehen des Armen dringt durch die Wolken, es ruht nicht, bis es am Ziel ist. Es weicht nicht, bis Gott eingreift und Recht schafft als gerechter Richter.

Zweite Lesung

2Tim 4,6-18

Mein Sohn! Ich werde nunmehr geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe. Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten. Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, aber nicht nur mir, sondern allen, die sehnsüchtig auf sein Erscheinen warten. Bei meiner ersten Verteidigung ist niemand für mich eingetreten; alle haben mich im Stich gelassen. Möge es ihnen nicht angerechnet werden. Aber der Herr stand mir zur Seite und gab mir Kraft, damit durch mich die Verkündigung vollendet wird und alle Heiden sie hören; und so wurde ich dem Rachen des Löwen entrissen. Der Herr wird mich allem Bösen entreißen, er wird mich retten und in sein himmlisches Reich führen. Ihm sei die Ehre in alle Ewigkeit. Amen.

Evangelium

Lk 18,9-14

In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Beispiel:
Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens.
Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Heilige Schrift

Gottes Barmherzigkeit

Jesus zeigt uns heute: Gott urteilt in seiner Barmherzigkeit oft anders, als wir es erwarten.
Ein Pharisäer und ein Zöllner kommen zum Gebet in den Tempel. Der Pharisäer ist quasi "Profi" im Beten, er geht zielsicher nach vorne und dankt Gott, dass er ein so frommer Mensch ist. Ist doch gut, werden viele sagen. Er hat sich in seinem Leben für Gott entschieden und da ist es ganz recht, dass er von Gott dafür belohnt wird.
Sicher wird er für seine Frömmigkeit seinen Lohn von Gott bekommen. Was Jesus aber nicht gutheißt ist, dass sich dieser Fromme über einen anderen Beter erhebt, der ganz hinten stehen bleibt, weil er weiß, dass er nicht besonders fromm ist, der aber zugleich Gott um Erbarmen bittet.
Gott hört das demütige Gebet des Zöllners, weil auch er ein geliebtes Kind Gottes ist. Gott sieht seine Not und seine Bitte um Erbarmen. Der Zöllner ist offen, sich von Gottes Barmherzigkeit beschenken zu lassen. Der Pharisäer aber meint alles aus eigener Frömmigkeit erreichen zu können. So verschließt er sich für das Geschenk von Gottes Barmherzigkeit.
Der Pharisäer dankt Gott, dass er nicht ist, wie andere Menschen. Doch ein solcher Dank ist nicht wohlgefällig vor Gott.
Johannes Chrysostomus sagt:

Danksagung besteht nicht darin, dass man über andere herzieht. ... Wer andere schlecht macht, der tut sich und den anderen viel Übles an.

Der Zöllner aber sucht nichts anderes als den verzeihenden Gott. Seine Demut macht es möglich, dass Gott ihn emporheben kann.
Der Pharisäer sieht den größten Wert seiner Gerechtigkeit in seinem Tun. Streng hält er sich an das Fasten und die Abgabe des Zehnten. Er tut dies aber allein aus Pflicht. Er kennt die Liebe nicht, aus der heraus wir Gott lieben und ihm alles schenken sollen. Und weil er die Liebe nicht kennt, weiß er auch nicht um Gottes Barmherzigkeit, die den Sünder, der sich Gott in Liebe zuwendet, höher stellt als den lieblosen Gesetzesbefolger.

Heilige Schrift

Geben wir uns nie mit unserer eigenen Frömmigkeit zufrieden, sondern seien wir stets offen dafür, dass Gott uns etwas noch Größeres und vielleicht etwas ganz Anderes als wir erwarten schenken möchte und blicken wir nicht auf andere herab, die ihren Weg mit Gott anders gehen als wir. Lassen wir stets Raum für Gottes Barmherzigkeit.

Abbas Poimen erzählte: Der Abbas Paphnutios pflegte zu sagen: In alten Zeiten, als die Altväter noch lebten, ging ich zweimal im Monat zu ihnen - die Entfernung betrug zwölf Meilen - und legte ihnen mein ganzes Denken dar, und sie sagten nichts anderes als dies:
"An welchen Ort du auch hinkommst, vergleiche dich nicht mit anderen, und du wirst Ruhe finden."

Apophthegmata Patrum

Gott, der gerechte Richter

Gott als Richter, dieses Bild, das uns Jesus Sirach in der Lesung vor Augen führt, war noch vor einigen Jahren viel stärker verbreitet als heute. Man möchte heute nicht mehr so gern vom Gericht Gottes reden in einer Gesellschaft, in der es kaum mehr Grenzen gibt. Ein Gott, der über alles hinweg sieht und alles verzeiht, erscheint da viel populärer.
Doch wo führt es hin, wenn es keine Grenzen mehr gibt? Werden dann nicht bald gewisse Menschen diese Freiheit missbrauchen, um ihren Vorteil daraus zu ziehen? Unmerklich schnürt sich auch heute das Netz um unsere ach so freie Gesellschaft und viele gehen freiwillig in den Käfig, der aus den Daten gesponnen wird, die sie so sorglos über sich preisgeben. Und dann ist es plötzlich wieder da, das Gericht, nun besetzt von selbsternannten Richtern, die sich ungefragt über das Tun ihrer Mitmenschen erheben.
Die Worte vom richtenden Gott, die Jesus Sirach schreibt, sollten den Menschen Trost geben. Die damalige Zeit kannte noch keine unabhängigen Gerichtsverfahren wie sie in unserem Rechtsstaat üblich sind. Oft waren die Richter bestechlich. Wer mehr zahlen konnte, bekam Recht, auch wenn er im Unrecht war. So war es für arme Menschen nahezu unmöglich, ihr Recht durchzusetzen.

Heilige Schrift

Gott ist nicht bestechlich. Er lässt sich nicht davon beeinflussen, wie viel einer geben kann. Es war zu allen Zeiten üblich, Gott Opfer zu bringen, es gab den Zehnten, den jeder an den Tempel oder die Kirche zu entrichten hatte. Das gehörte zur Ordnung der Gesellschaft, in der auch die Priester ihren festen Platz hatten.
Aber wenn einer in Not ist, dann hilft Gott ohne Ansehen der Person. Er wird den Reichen nicht ungestraft lassen, der das Geld für seine zahlreiche Opfer durch die Ausbeutung anderer erworben hat. Gott schaut nicht auf das Opfer, sondern auf das Herz. Und wenn ein Armer mit reinem Herzen zu ihm ruft, so wird Gott dessen Ruf eher vernehmen als das Gebet eines Menschen, der Opfer anhäuft, dessen Herz aber nicht rein ist vor Gott.
Gottes Urteile sind gerecht, weil er die Menschen bis in ihr tiefstes Inneres kennt. Vor menschlichen Richtern kann manches verborgen bleiben. Gott aber weiß alles. Er ist unbestechlich, weil er selbst keinen Vorteil hat aus den Gaben, die Menschen ihm darbringen. Auch die Freundschaft mit Mächtigen vermehrt seine Größe nicht. Gott ist groß, auch wenn er nur der Gott der armen und einfachen Menschen ist. Geben wir uns vertrauensvoll in seine Hände.

Barmherziger Gott, Richter der Welt,
du bist unbestechlich in deinem Maßstab,
doch voller Erbarmen in deinem Urteil.
Vergib uns,
dass wir aus Sorge um unseren Vorteil
das Unrecht oft nicht klar benennen,
und nicht so handeln, wie du es uns lehrst.
Wir nutzen unsere Möglichkeiten zu wenig,
um etwas zu ändern an unserem Leben
und an den Verhältnissen dieser Welt.
Gib, dass uns nicht die Macht blendet,
sondern dass wir für die Freiheit eintreten
und gegen Not und Unterdrückung kämpfen.
Gott, dir können wir nichts vormachen.
Sende dein Licht und deine Wahrheit,
dass sie uns leiten zu neuer Klarheit.
Schenke uns den Mut, ehrlich und
konsequent die Gerechtigkeit zu leben.