
Saul und David
Wenn man es recht betrachtet, so war Saul der gesalbte König Israels, David aber ein Emporkömmling, der Hauptmann einer Räuberbande. Auch das erste Buch Samuel tut sich schwer damit, das Ineinander und Nebeneinander der beiden Könige Saul und David zu beschreiben. Zunächst scheint alles ganz klar zu sein, Saul wird wegen seines Ungehorsams von Gott verworfen und David ist der Auserwählte Gottes, der von Samuel anstelle Sauls zum König gesalbt wird. Aber David tritt nicht unmittelbar die Nachfolge Sauls an. Zunächst ist er am Hofe Sauls tätig. Es heißt, dass David mit seinem Zitherspiel den König Saul beruhigen konnte, wenn der böse Geist kam, der ihn wegen seiner Verwerfung bedrückt und niedergeschlagen machte. Auch als Krieger erlangte David immer mehr Einfluss in Sauls Heer. Schließlich sangen die Leute:
Saul hat Tausend erschlagen, David aber Zehntausend. (1Sam 18,7)
So wurde Saul misstrauisch gegenüber David. Als er wieder einmal auf der Zither spielte, schleuderte Saul seinen Speer gegen David, um ihn zu töten. Doch er verfehlte ihn und David konnte fliehen und sich außerhalb des Herrschaftsbereichs Sauls in Sicherheit bringen. Auch seine Familie folgt ihm und eine Schaar von Männern. So hat David schließlich eine starke Truppe um sich, mit der er Raubzüge unternimmt.
David ist klug und beim Volk beliebt, Saul aber wird immer vergrämter. Er ist wie besessen darauf, den Emporkömmling David zu vernichten. Mit einem Heer aus ausgewählten Kriegen jagt er David hinterher. David aber findet Schutz im schwer zugänglichen Bergland. Daher ist er Saul immer einen Schritt voraus und kann sich vor ihm in Sicherheit bringen.
Nun ist Saul mit seinen Kriegern wieder einmal David ganz dicht auf den Fersen. David und seine Leute sind verraten worden. Aber die Berge bieten genug Möglichkeiten für David und seine Krieger, sich zu verbergen. Saul schlägt ganz in der Nähe Davids sein Lager auf, ohne zu wissen, dass David mit seinen Kriegern in Sichtweite ist.
Als Saul und seine Krieger schlafen, schleicht sich David bei Nacht mit einem Begleiter in Sauls Lager. Unbemerkt gelangen sie bis ins Zelt Sauls. Es wäre nun für die beiden ein Leichtes gewesen, Saul zu ermorden. David aber hat Ehrfurcht vor Sauls Leben und will den Gesalbten des Herrn nicht ermorden.
Was nun geschieht, zeigt den Witz und die Tücke Davids. Es ist beschämend für Saul, wie David nun öffentlich ihn und seine Heerführer, die nicht in der Lage waren, ihren König zu bewachen, vorführt. David will Saul deutlich machen, dass er nicht nach seinem Leben trachtet. Saul soll endlich aufhören, ihn zu verfolgen. Doch das Misstrauen zwischen beiden bleibt. David meidet mit seiner Truppe weiterhin das Herrschaftsgebiet Sauls. Erst nachdem Saul in einer Schlacht gegen die Philister den Tod erleidet, zieht David nach Juda und tritt dort sein Königtum an.

Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!
Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist! (Lk 6,36) - Verlangt Jesus hier nicht etwas Unmögliches von uns? Zunächst verlangt er von uns die Feindesliebe. Was uns andere auch antun mögen, wir sollen stets gut zu ihnen sein. Ok, man kann seine Rachegelüste zähmen, versuchen, ruhig zu bleiben. Aber wenn im Herzen der Groll aufsteigt, dann wünscht man dem anderen doch leicht alles Mögliche nicht so gute. Stattdessen nicht nur im Stillen dem anderen nichts Böses wünschen, sondern etwas Gutes tun, übersteigt das nicht alle menschlichen Möglichkeiten? Und: wo kommen wir denn dann selbst hin, wenn alle auf uns rumtrampeln können, ohne dass wir uns wehren.
Genau hier müssen wir einlenken. Den Feinden Gutes tun ist eine aktive Handlung. Sie erfordert Größe. Das ist etwas ganz anderes, als auf sich herumtrampeln zu lassen. Wenn wir statt einem Blick voll Hass ein Geschenk der Liebe machen, dann ist der andere zunächst überrascht und vielleicht denkt er dann darüber nach, was er tut. Wer auf Feindschaft mit Hass antwortet, der vertieft den Graben zwischen den Menschen und wird selbst vom Sog des Hasses in die Tiefe gezogen. Wer aber mit einem Geschenk des Guten antwortet, nimmt dem Hass und der Feindschaft die Kraft und lässt die Möglichkeit des Friedens entstehen.
Jesus begründet seine Forderung nach Nächstenliebe und Feindesliebe mit der Barmherzigkeit des Vaters. Weil Gott an uns barmherzig gehandelt hat, sollen auch wir barmherzig sein. Gottes barmherziges Tun an uns geht all unserem Tun voraus. Gott handelt an uns barmherzig, noch bevor wir selbst etwas getan haben. Um Christ zu werden und das Heil zu empfangen, bedarf es keiner langen Jahre der Askese oder einer Reihe von Wiedergeburten durch mehrere Leben hindurch. Es braucht nur etwas Wasser und einen anderen Menschen, der die Taufformel spricht.
Wir sollen barmherzig sein, weil uns Barmherzigkeit zuteil wurde, nicht damit uns Barmherzigkeit zuteil wird.
(Raniero Cantalamessa)
Gott bedarf unserer Barmherzigkeit nicht. Er handelt nicht gut an uns, damit wir uns ihm gegenüber als gut erweisen. Er lenkt unsere Barmherzigkeit hin auf unsere Mitmenschen. Ihnen gegenüber sollen wir das erfahrbar machen, was Gott uns hat erfahren lassen: dass wir bedingungslos geliebt und von Gott unendlich beschenkt sind.
Der Nächste, der Mitmensch, ist für mich das sichtbare Antlitz Gottes.
(Raniero Cantalamessa)

Wir vergessen leicht, was Gott für uns getan hat, gerade in der heutigen Zeit, wo die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen in den Hintergrund gedrängt wurde. Unsere Leistung steht im Vordergrund und wenn es einer zu etwas bringen will, so muss er sich über andere behaupten, besser sein als andere. Wer sich umwendet, um einem anderen zu helfen, bleibt oft selbst zurück.
Das oberste Ziel unserer kapitalistischen Welt ist der Profit und dabei sind es einige wenige, die wirklich großen Profit machen. Noch hat ein relativ großer Teil unserer Gesellschaft teil an diesem Profit und kann sich mit Konsum und Unterhaltung vergnügen, aber immer deutlicher wird das Ausmaß der Zerstörung, die das kapitalistische Denken anrichtet. Die Menschen, die davon nicht profitieren, drängen sich immer stärker in unser Bewusstsein. Immer deutlicher wird das Ausmaß der Zerstörung der Erde.
Nur die Barmherzigkeit, die Barmherzigkeit Gottes zu den Menschen und der Menschen untereinander, kann die Welt retten.
Himmlischer Vater, durch die Verdienste deines Sohnes, der sich am Kreuz für uns „zur Sünde machte“, lösche aus den Herzen der Menschen, der Familien und der Völker die Rachsucht und gib, dass wir uns in die Barmherzigkeit verlieben. Gib, dass der Absicht des Heiligen Vaters beim Ausrufen dieses Heiligen Jahres der Barmherzigkeit eine konkrete Antwort unserer Herzen folgt, und dass allen die Freude zuteil wird, sich mit dir versöhnen zu lassen. Amen. (Raniero Cantalamessa)