Österliche Bußzeit

3. Fastensonntag C

Erste Lesung

Ex 3,1-15

In jenen Tagen weidete Mose die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb.
Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht?
Als der Herr sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.
Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.
Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen?
Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der "Ich-bin-da". Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der "Ich-bin-da" hat mich zu euch gesandt. Weiter sprach Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Jahwe, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer, und so wird man mich nennen in allen Generationen.

Zweite Lesung

1Kor 10,1-12

Ihr sollt wissen, Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren, alle durch das Meer zogen und alle auf Mose getauft wurden in der Wolke und im Meer. Alle aßen auch die gleiche gottgeschenkte Speise, und alle tranken den gleichen gottgeschenkten Trank; denn sie tranken aus dem Leben spendenden Felsen, der mit ihnen zog. Und dieser Fels war Christus. Gott aber hatte an den meisten von ihnen kein Gefallen; denn er ließ sie in der Wüste umkommen.
Das aber geschah als warnendes Beispiel für uns: damit wir uns nicht von der Gier nach dem Bösen beherrschen lassen, wie jene sich von der Gier beherrschen ließen. Murrt auch nicht, wie einige von ihnen murrten; sie wurden vom Verderber umgebracht. Das aber geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient; uns zur Warnung wurde es aufgeschrieben, uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat. Wer also zu stehen meint, der gebe acht, dass er nicht fällt.

Evangelium

Lk 13,1-9

Zu jener Zeit kamen einige Leute zu Jesus und berichteten ihm von den Galiläern, die Pilatus beim Opfern umbringen ließ, so dass sich ihr Blut mit dem ihrer Opfertiere vermischte.
Da sagte er zu ihnen: Meint ihr, dass nur diese Galiläer Sünder waren, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer aber nicht?
Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.
Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden - meint ihr, dass nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen Einwohner von Jerusalem aber nicht?
Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.
Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen?
Der Weingärtner erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.
Mose

Mose am brennenden Dornbusch (Ex 3,1-15)

Am vergangenen Sonntag haben wir betrachtet, wie Gott mit Abraham einen Bund geschlossen hat und ihm dabei seine Gegenwart gezeigt hat. Viele Jahre sind seither vergangen. Die Nachkommen Abrahams sind zu einem Volk geworden. Aber dieses Volk lebt nun keineswegs glücklich im Gelobten Land, sondern sie sind Sklaven in Ägypten. Erneut ergreift Gott die Initiative, um die Erfüllung seiner Verheißung voranzubringen. Er erscheint Mose und beruft ihn dazu, das Volk aus Ägypten heraus in das Gelobte Land zu führen.
Um die Jugend des Mose gibt es spannende Geschichten. Als kleines Kind wurde er ausgesetzt, denn die Ägypter wollten, dass alle männlichen Nachkommen Israels schon bei der Geburt getötet werden. Mose hatte Glück. Eine Tochter des Pharao fand ihn und so wuchs er gut behütet auf und konnte eine umfangreiche Bildung erwerben. Als Erwachsener besann Mose sich auf seine Herkunft und ging zu seinem Volk, doch man betrachtete ihn mit großem Argwohn.
Nach einem Zwischenfall musste Mose fliehen und ging in das Nachbarland Midian. Dort heiratete er und arbeitete als Hirte für seinen Schwiegervater. Eines Tages, als Mose mit der Herde nahe beim Gottesberg Horeb war, geschah etwas Ungewöhnliches. Mose sah einen Dornbusch der brannte, ohne zu verbrennen. Das musste er sich genauer ansehen.
Mose ist allein in der öden Gebirgslandschaft. Plötzlich spürt er einen Schrecken, der ihm durch alle Glieder fährt. Er spürt, dass er nicht allein ist. Er macht die Erfahrung, dass Gott ganz nah bei ihm ist. Der Gott seiner Väter, der Gott, der seinem Stammvater Abraham die Verheißung gegeben hat, er ist auch jetzt nahe bei seinem Volk. Seine Gegenwart bricht stets aus der Ewigkeit hindurch in die Zeit.
Mose spürt Gottes Gegenwart. Er zieht seine Schuhe aus, um seine Ehrfurcht zu bekunden. So ist es bis heute Brauch in orientalischen Ländern. Dann verhüllt er sein Gesicht, denn kein Mensch kann Gott sehen und am Leben bleiben. Mose hat genug gesehen. Gott hat sich sehen lassen, er hat Mose seine Gegenwart gezeigt. Aber doch bleibt Gott verborgen. Es gibt eine Grenze, die der Mensch nicht überschreiten kann, weil er die letzte Macht göttlicher Gegenwart nicht ertragen könnte.

Versuchen wir uns in Mose hinein zu fühlen. Wie mag ihn die Erfahrung der göttlichen Gegenwart berührt haben?
Kann ich Gottes Nähe spüren, wenn ich zum Beispiel eine Kirche betrete und weiß, dass der Herr im Tabernakel gegenwärtig ist, dass dieser Ort ein heiliger Ort ist?
Kann ich daran glauben, dass Gott auch heute, auch in meinem Leben, gegenwärtig ist?

Gott offenbart dem Mose seinen Namen: Ich bin der "Ich-bin-da".
Gott will mitten in seinem Volk wohnen.
Durch diese Erfahrung von Gottes Gegenwart gestärkt,
kehrt Mose nach Ägypten zurück, um Gottes Auftrag zu erfüllen
und Israel in das Gelobte Land zu führen.
Gibt mir der Glaube an Gottes Gegenwart Kraft für mein Leben?
Was ist Gottes Auftrag an mich?

Mahnung an die Korinther

Ihr sollt wissen, Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren, alle durch das Meer zogen und alle auf Mose getauft wurden in der Wolke und im Meer. Alle aßen auch die gleiche gottgeschenkte Speise und alle tranken den gleichen gottgeschenkten Trank; denn sie tranken aus dem Leben spendenden Felsen, der mit ihnen zog. Und dieser Fels war Christus. (1Kor 10,1-4)

Paulus mahnt die Korinther dazu, sich nicht in falscher Selbstsicherheit zu wiegen. Als mahnendes Beispiel führt er die Geschichte Israels an. Der Exodus, der Auszug aus Ägypten, ist das Schlüsselerlebnis in der Geschichte Israels. Das ganze Volk machte dir Erfahrung von Gottes rettender Tat der Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens.
Paulus sieht den Exodus als Vorausbild dessen, was die christliche Gemeinde heute erfährt. Wie Gott durch Mose das Volk durch das Rote Meer in die Freiheit führte, so sind die Christen durch die Taufe von der Sklaverei der Sünde befreit worden. Wie Gott das Volk Israel in der Wüste wunderbar versorgt hat, durch Wasser aus dem Felsen und Manna, so ist die Eucharistie die wunderbare Speise des neuen Gottesvolkes. Alle Christen haben Teil an Christi Leib und Blut, der Speise ewigen Lebens.

Wer also zu stehen meint, der gebe Acht, dass er nicht fällt. (1Kor 10,12)

Die Erfahrung der Wohltaten Gottes ist keine Garantie für das ewige Heil. Im Volk gab es solche, die aus Gier mehr Manna sammelten, als sie benötigten, und dafür bestraft wurden. Als Mose am Sinai war, machte sich das Volk ein Goldenes Kalb und trieb Götzendienst. Viele murrten und wollten lieber wieder in die Sklaverei zurück, als den beschwerlichen Weg durch die Wüste zu gehen. Nicht das große Ziel war ihnen wichtig, sondern einfach nur die Bequemlichkeit des Alltags. Auf dem Zug durch die Wüste kamen viele um, Mose musste immer wieder den Herrn um Verzeihung für das Volk anrufen. Diejenigen, die aus Ägypten ausgezogen waren, durften das gelobte Land nicht sehen, sondern erst der folgenden Generation wurde der Einzug gewährt.
So dürfen sich auch die Christen angesichts der Sakramente nicht in falscher Sicherheit wiegen. Gott will das Heil aller Menschen, er schenkt seine Gnade umsonst, aber der Mensch kann sein Heil auch verwirken. Gott sorgt sich um uns, wie der Gärtner im Gleichnis, der den fruchtlosen Baum nicht umhaut, sondern jahrelang weiter pflegt, dass er doch noch Früchte trägt. Aber es gibt keine Garantie für das Heil. Das sollen wir immer wieder bedenken.

1Kor

Hochmut kommt vor dem Fall, so lautet ein bekanntes Sprichwort. Wer meint, der beste zu sein, alles richtig zu machen und über den anderen zu stehen, für den kommt oft ein böses Erwachen. Selbst wenn wir etwas Tolles gemacht haben und viel Lob erhalten, kann uns im nächsten Augenblick ein Missgeschick passieren und alles ist dahin.
Das bedeutet nicht, dass wir mit negativen Gedanken durchs Leben gehen sollen und uns über nichts mehr freuen dürfen. Aber wir sollen wachsam sein. Wir dürfen dankbar sein für das, was uns gelingt, sicher auch ein wenig stolz, aber wir sollen das immer auch als ein Geschenk sehen und nicht übermütig werden.
Wir dürfen stolz darauf sein, Christen zu sein. Heute machen wir eher die andere Erfahrung, dass Christsein eben nichts Besonderes ist, dass wir die Sakramente nicht mehr Wunder des Heils erfahren, wie beispielsweise Israel den Exodus. Auch das ist eine Versuchung, die Versuchung zur Gleichgültigkeit. Machen wir uns immer neu bewusst, welche Großtaten Gott an uns erwiesen hat. Wir sind Kinder Gotts. Gott ist unser Vater, der auf uns schaut und für uns Sorge trägt.
Wir dürfen und sollen ein gesundes Selbstbewusstsein haben, müssen uns aber auch vor falscher Selbstsicherheit in Acht nehmen. In den Beispielen, die Paulus aufgezählt hat, zeigt sich, wie verhängnisvoll diese sein kann. Johannes Chrysostomus sagt:

Wenn nämlich jene, die so große Wohltaten genossen, solches leiden mussten, wenn andere, bloß weil sie gemurrt haben, und wieder andere, weil sie Gott versucht haben, so hart gestraft wurden, und wenn jenes Volk nach so großen Dingen Gott nicht fürchtete, so wird uns dieses Schicksal, wenn wir nicht vorsichtig wandeln, umso mehr treffen. Paulus sagt treffend: "Wer zu stehen meint", denn ein solches Stehen ist nicht das rechte, sondern es ist ein Vertrauen auf die eigene Kraft und wer so steht, wird bald fallen.

Johannes Chrysostomus sieht die Menschen aber in einer ganz anderen Situation. Vielen sind gefallen und liegen am Boden, auch in der Kirche. Viele mögen zwar nach außen hin kraftvoll wirken, "könnte man aber die Seelen nackt schauen, wie man in einem Heer nach der Schlacht die einen tot, die andern schwer verwundet erblickt, so würde man dasselbe auch hier in der Kirche erblicken." Er ruft daher dazu auf, einander die Hand zu reichen und einander zu helfen, aufzustehen:

Darum ermahne ich nicht nur dazu, dass wir uns vor dem Fall hüten, sondern den Gefallenen rufe ich zu, dass sie aufzustehen vermögen. Lasst uns also, Geliebte, wiewohl spät, erheben! Lasst uns aufstehen und tapfer dastehen! Wie lange wollen wir liegen bleiben? Wie lange wollen wir berauscht und von irdischen Begierden betäubt so fortleben? Ich bitte und ermahne: reichen wir einander die Hand und stehen wir auf!

Haben wir den Mut, ehrlich zu unseren Fehlern zu stehen und unsere Sünden zu bekennen. Haben wir die Demut, um Verzeihung und Hilfe zu bitten. Greifen wir nach der Hand, die uns entgegengestreckt ist, um uns aufzuhelfen. Der Heilige Johannes Chrysostomus sagt:

Auch ich gehöre zu den Verwundeten, die des heilenden Arztes bedürfen, aber darum sollt ihr den Mut nicht verlieren; denn sind die Wunden auch schwer, so sind sie doch heilbar. Wir haben nämlich einen Arzt, der uns, mag auch das Übel den äußersten Grad erreicht haben, viele Wege zur Besserung zeigt.

Christus ist unser Arzt, er kann uns Heilung verschaffen. Er zeigt uns verschiedene Therapien, wie wir Heilung erlangen können. Wenn wir anderen verzeihen, so wird auch uns verziehen, durch Gebet und Almosen werden Sünden getilgt.

Lasst uns also die Größe seiner Erbarmung erwägen und ihn versöhnen und vor ihm unsere Schuld bekennen, damit wir nicht beim Hinscheiden aus diesem Leben ohne Nachsicht der äußersten Strafe verfallen!

Chrysostomus mahnt aber auch, nicht mit Gottes Barmherzigkeit zu spielen. Es muss uns ernst sein mit unserer Umkehr. Gerade auch das Geld birgt eine Versuchung, die uns immer wieder blind werden lässt:

Wir vernachlässigen das Seelenheil aus Liebe zum Geld. Wie darfst du nun Gott bitten, dass er dich verschone, da du dich selbst nicht verschonst und das Geld der Seele vorziehst? Ich staune über den Zauber, der in dem Geld oder besser gesagt, in den Herzen der Verblendeten liegt. Doch gibt es auch sicherlich Menschen, welche dieses Blendwerk herzlich verlachen, denn was liegt wohl darin, das unsere Augen bezaubern könnte? Ist es nicht ein lebloses Wesen? Ist es nicht vergänglich? Ist sein Besitz nicht unsicher, verbunden mit Furcht und Gefahr, Mord und Nachstellungen, mit Feindschaft und Hass, mit Trägheit und allerlei Bosheit? Ist es nicht Staub und Asche? Welcher Wahnsinn! Welche Krankheit!

Wir können dieser Versuchung dadurch begegnen, dass wir uns Gott viel größer und Herrlicher vorstellen als alle Pracht dieser Welt und alles, was wir uns mit Geld kaufen können. Machen wir uns die Wunder bewusst, die Gott an uns gewirkt hat. Wir sind neu durch seine Gnade. Lassen wir uns immer wieder erneuern, lassen wir Gott an uns wirken, dass wir durch seine Gnade wachsen zu wahrer Größe.

Ihr alle werdet genauso umkommen (Lk 13,1-9)

Zur gleichen Zeit kamen einige Leute und berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit dem ihrer Opfertiere vermischt hatte. (Lk 13,1)

Jesus hat im vorangegangenen Abschnitt seine Zuhörer eindringlich zur Entscheidung gemahnt. Das Reich Gottes duldet keinen Aufschub. Jeder Mensch bedarf der Umkehr und diese muss sofort erfolgen, sonst könnte es zu spät sein. Wie plötzlich dieses "zu spät" eintreten kann, zeigen die beiden Beispiele in diesem Abschnitt.
Da ist zunächst eine Pilgergruppe aus Galiläa. Die frommen Menschen haben sich auf den Weg nach Jerusalem gemacht im festen Vertrauen auf Gottes Schutz und Beistand, der ihnen ein langes und gesundes Leben versprach. Doch Pilatus schert sich nicht um die frommen Traditionen der Juden und lässt aus welchem Grund auch immer gerade diese Pilgergruppe töten. Die Menschen, die mit frommer Absicht nach Jerusalem gekommen sind, finden einen grausamen Tod, und in ihrem Sterben vermischt sich ihr eigenes Blut mit dem ihrer Opfertiere, ein Geschehen, das an Grausamkeit kaum überboten werden kann und das man nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschen würde.

Feigenbaum
Und er antwortete ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder waren als alle anderen Galiläer, weil das mit ihnen geschehen ist? Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle genauso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt. (Lk 13,2-3)

Den Jüngern mag die Frage auf der Zunge gelegen haben und manch frommer Mensch kommt vielleicht doch ins Grübeln: War das, was geschehen ist, nicht doch eine Strafe Gottes, die genau für jene Menschen bestimmt war? Würde man vielleicht bei genauer Nachforschung herausfinden, dass diese auf den ersten Blick so frommen Menschen im Verborgenen doch Sünder waren?
Jesus macht deutlich, dass solche Fragen nach dem "Warum?" nicht zielführend sind. Er geht sogar so weit zu sagen, dass alle Menschen in gleicher Weise Sünder sind und den Tod verdient haben. Ja, diese frommen Menschen waren Sünder, aber nicht mehr und nicht weniger als jeder andere Mensch auch, alle würde zu Recht die Strafe Gottes treffen. Für den Exegeten Klaus Berger ist Lk 13 daher einer "der härtesten Texte der Bibel".
Dass es genau jene Menschen getroffen hat, hat nichts mit ihrer Sündhaftigkeit zu tun. Der plötzliche Tod dieser Menschen ist vielmehr eine Mahnung zur Umkehr an alle, die genauso dieses Schicksal treffen kann.

Er ließ diese Strafe zu, damit die Lebenden, angesichts des schreckenerregenden Beispiels anderer, Erben des Reiches würden. Was? Soll man etwa sagen, dass jener bestraft wurde, damit ich mich bessere? Nein. Er wird wegen seiner eigenen Verbrechen bestraft. Und doch wird daraus für diejenigen, die es sehen, ein Anknüpfungspunkt, das Heil zu erlangen. (Chrysostomus)
Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms am Schiloach erschlagen wurden - meint ihr, dass sie größere Schuld auf sich geladen hatten als alle anderen Einwohner von Jerusalem? Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle ebenso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt. (Lk 13,4-5)

Dann sind da noch jene acht Menschen, die beim Einsturz eines Turmes in Jerusalem ums Leben kamen, ganz normale Bürger, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Wir könnten diese Liste noch endlos fortführen, denn immer wieder geschehen Unglücksfälle, die Menschen ohne Vorwarnung in den Tod reißen.
Um den Text zu verstehen, müssen wir ihn im Kontext des vorangegangenen Aufrufs Jesu zur Dringlichkeit der Entscheidung für das Reich Gottes sehen. Alle Menschen sind Sünder und haben den Tod verdient. Aber Gott schenkt jedem Vergebung, der an Jesus Christus glaubt und ihm nachfolgt. Die Entscheidung dazu aber muss jetzt, sofort erfolgen, weil selbst den frömmsten Menschen Unheil treffen kann durch Ereignisse, die Gott nicht beeinflussen will, wie die Entscheidung eines bösen Menschen, sich an anderen zu vergehen, oder die Folgen der unsachgemäßen Errichtung eines Bauwerks.
Dennoch heißt das nicht, dass Gott seine Frommen nicht beschützt. Es gibt andere Worte Jesu, die zeigen, dass Gott immer für die Seinen sorgt. Aber dennoch dürfen wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Die Umkehr auf morgen zu verschieben, kann ein fataler Fehler sein. Bequemlichkeit zahlt sich nicht aus. Und mal anders gefragt: was verlieren wir, wenn wir umkehren? Umkehr ist eine absolute Win-Win-Situation. Wenn wir meinen, wir würden durch Umkehr irgendetwas verlieren, sind wir wahrscheinlich sowieso noch nicht bereit für eine wirkliche Umkehr. Wenn wir umkehren, lassen wir zurück, was uns nichts nützt (und mag es in den Augen mancher Menschen noch so kostbar und wertvoll erscheinen) und bekommen alles geschenkt, was wir brauchen. Was könnte also erstrebenswerter sein als die Umkehr?
Und doch weiß auch Jesus, wie schwer es den Menschen fällt, ihre alten Gewohnheiten aufzugeben, und zu erkennen, was wirklich gut und erstrebenswert ist. Darum wählt er diese eindringlichen Worte. Im folgenden Gleichnis vom Feigenbaum zeigt er aber, dass Gott nichts unversucht lässt, um uns zur Umkehr zu ermutigen.

Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Winzer: Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen! (Lk 13,6-9)

"Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt." Diese Worte Jesu scheinen uns hart und pastoral nicht feinfühlig zu sein, scheinen keinen Trost zu geben, angesichts der schrecklichen Ereignisse, von denen die Rede war. Wir verstehen diese Worte erst, wenn wir sie im Zusammenhang mit der Sorge Gotte um jeden Menschen sehen. Gott selbst ist der Gärtner, der sich liebevoll um den fruchtlosen Baum kümmert, über Jahre hinweg, in der Hoffnung, dass er doch noch Früchte trägt.

Es ist der Güte Gottes eigen, nicht ohne Vorwarnung zu strafen, sondern zuerst zu drohen, um dadurch zur Umkehr zu rufen. So tat er in Ninive, so spricht er auch jetzt zum Gärtner: Hau ihn um. Er will ihn gewissermaßen zu vermehrter Pflege anspornen, bzw. die unfruchtbare Seele dazu erwecken, die rechten Früchte hervorzubringen. (Basilius der Große)

Gott will das Heil aller Menschen und er tut alles dafür was er kann, ohne dabei unsere Freiheit einzuschränken, uns für oder gegen ihn zu entscheiden. Gott hat keine Freude daran, dreinzuschlagen und die Sünder zu vernichten. Er will uns vielmehr liebevoll auf den rechten Weg führen. Das ist die frohe Botschaft. Gott lockt uns mit seiner Liebe, jeden Tag, und gibt uns alles, was wir brauchen, um so zu leben, wie es ihm gefällt.

Gott des Lichts,
manchmal ist es so
finster in unserer Welt
und in unserem Leben.
Entreiße mich der Dunkelheit
und führe mich in
dein wunderbares Licht.
Wie auch immer es um
mich bestellt sein mag,
lass mich in deinem Licht
und deiner Liebe leben -
und sie mit anderen teilen.